Sonntag, 15. Juni 2008

Aufgabe zur LV am 18. 06.08

Für diese Aufgabe sollten wir uns weiters mit einem frei gewählten Vertiefungsthema beschäftigen.

Ich möchte mich hier näher auf den deutschen Medientheoretiker Hans Magnus Enzensberger beziehen. Im Zuge einer anderen Lv musste ich mich mit seinem Post - 68er Gedankengut auseinandersetzen und möchte diese Ansichten auf die Neuerungen des Web2.0 ummünzen. Diese Idee kam mir im Gespräch mit Eva, weshalb sich unsere Aufgaben diesmal ziemlich gut ergänzen dürften.
Konkret befasse ich mich mit seinem "Baukasten zu einer Theorie der Medien", den er 1970 verfasst hat. An dieser Stelle werde ich aber nur jene Passagen näher beleuchten, die sich auf die späteren Entwicklungen des Web2.0 beziehen.

Enzensberger spricht nämlich schon 1970 davon, dass die Medien an sich eine massenhafte Teilnahme an gesellschaftlichen Prozessen ermöglichen. Die Struktur, die den Medien innewohnt, ist nicht per se hierarchisch, sie wird nur von den Eliten derart missbraucht. So wird für ihn die Wechselwirkung zwischen Sender und Empfängre BEWUSST verhindert, es handelt sich um kein technisches Problem.
Für Enzensberger müssen die Mediengeräte immer schon Produktionsmittel sein, nicht bloß Konsumptionsmittel. Für Enzensberger liegt es an den Menschen selbst, ihre Emanzipation voranzutreiben. Es geht ihm um eine Selbstorganisation des Einzelnen, um so am gesellschaftlichen Lern- und Produktionsprozess teilzunehmen.

Wesentlich in diesem Zusammenhang ist auch seine Vorstellung von medialer Ästhetik: für ihn ist die Logik des Buchdrucks überholt. Medien sind nie vollendet, sondern immer im Wandel. Ihre Orientierung bleibt im Augenblick und in der Aktion, eine ewige Gülitgkeit bleibt ausgeschlossen. Die elektronischen Medien weisen also keinerlei Merkmale der geschriebenen und gedruckten Literatur auf: sie sind weder formalisiert noch autoritär, die Möglichkeit der Wechselwirkung besteht.

Fazit: Enzensberger fordert den Übergang von einem zentral- zu einem dezentral gesteuerten Programm. Für ihn soll jeder Sender ein potentieller Empfänger sein. Er steht für eine Mobilisierung der Massen im Gegensatz zur Immobilisierung isolierter Individuen. Es geht ihm um Interaktion, kollektive Produktion und eine gesellschaftliche Kontrolle der Medien durch Selbstorganisation.

Nach diesem trockenen und theoretischen Teil möchte ich zur Einführung in die Welt von Web2.0 auf ein YouTube - Video von Micheal Wesch, einem Assistenzprofessor an der Kansas State University, mit dem Titel "Web2.0 - An intro in 5 minute" verweisen.
Meiner Meinung nach zeigt dieses Video nicht nur ganz klar die grundlegenden Änderungen des Web 2.0 im Gegensatz zum Web1 auf, die Gestaltung des Videos von Micheal Wesch ist auch sehr gelungen.

Was ist denn mit der Entwicklung des Web2.0 genau passiert?
Genau das, was Enzensberger mit seiner Aussage "Jeder Empfänger ein potentieller Sender" gefordert hat. Mit XML im Gegensatz zu HTML ist es nämlich möglich geworden, den Text- den Inhalt - unabhängig von dessen Design und Struktur im Web zu veröffentlichen. Das bedeutet, dass die technischen Hindernisse zur Präsenz im Internet wesentlich geringer geworden sind. Die Fähigkeit, eine Programmiersprache wie HTML zu beherrschen ist nicht mehr so wesentlich. Für mich erfüllt sich hier auch die Forderung Enzensbergers zu einer Mobilisierung der Massen. JEDER und JEDE kann sich zum Beispiel einen Blog anlegen und drauflosschreiben.

Enzensbergers Verlangen nach einer interaktiven Teilnahme und nach der kollektiven Produktion wird das Web2.0 mit Anwendungen wie Wikis, YouTube, Flickr oder Delicious gerecht. Wikis ermöglichen ein gemeinsames Kreieren von Texten, auf YouTube können private Videos veröffentlicht und mit anderen geteilt werden. (flickr verfolgt diese Idee mit Photos.) Delicious kann als online - Linksammlung verstanden werden. Hier werden Seiten abgespeicherts, die mit verlinkten Usern geteilt werden können.

Web 2.0 ist nicht bloß eine Veränderung des Internets, es geht um mehr.
Um es mit den Worten von Michael Welsch zu sagen: "We 'll need to rethink a few things:
- copyright,
- authorship,
- identity,
- ethics,
- aesthetics,
- rhetorics,
- governance,
- privacy,
- commerce,
- love,
- family,
- ourselves."

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Literatur: Enzensberger, Hans Magnus: Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Kursbuch 20 (1970). S. 159-168. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. Main.

1 Kommentar:

dietmar hat gesagt…

Hallo.
Mich hat dein Artikel an Ideen von Marshall McLuhan erinnert, der das Ende der Gutenberg Galaxis, so nennt er die Kultur, welche auf den Buchdruck aufbaut und durch ihn bestimmt wird, abgelöst durch das global village sieht. Dieses ist durch Elektrizität, und solche Medien gekennzeichnet, welche die Menschen aus ihren beengten hierarchischen Formen und Organisationen herauslöst und zu einer Auflösung von Distanzen jeder Art beiträgt und den Menschen im globalen Dorf näher aneinander bringt. Diese Medien verändern die Öffentlichkeit, und die Politik wird bestimmt durch eine aktive Teilnahme aller am öffentlichen Geschehen. McLuhans Thesen dieses Bruchs am Ende der Gutenberg- Galaxis werden von vielen Medientheoretikern übernommen, Allerdings wird der Bruch erst durch die Speicher- und Übertragungsmedien (Norbert Bolz) so wirklich vollzogen. (vgl. KLOOCK, SPAHR: Medientheorien 2007)
Was die politische Dimension einer durch die „one to many“- Medien erzeugten Kommunikation angeht so fällt mir ein deutliches Delay auf. Die Möglichkeiten der Partizipation sind da, es gibt genügend Beispiele wie Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit erzeugt wird, allerdings ist die Teilnahme meist auf eine kleine Bevölkerungsgruppe und auf bestimmte oft unmittelbar diese Gruppe betreffende Angelegenheiten beschränkt.
LG
Dietmar